„Jüdisches Leben in Schloß Neuhaus“, das war das Thema beim aktuellen Spaziergang in diesem Monat. „Das Schicksal der Familien Grünewald und Rosenthal gleicht ohne Zweifel unzähligen jüdischen Familien“ so Georg Hunstig, der den Spaziergang moderierte und sehr kompetent vorbereitete „Auch sie wurden 1938 gezwungen, ihren Grundbesitz „zu verkaufen“ „sie waren damit ihrer wirtschaftlichen Existenz beraubt“ bevor sie in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten deportiert wurden und dort umkamen. Dies erörterte er an den Plätzen im historischen Ortskern von Schloß Neuhaus.
Regelmäßig im Jahr lädt die Quartiersinitiative Schloß Neuhaus zu Themen-Spaziergängen durch die Nachbarschaft ein. Diese Veranstaltungen sollen interessierten Bürgerinnen und Bürgern Gelegenheit geben, prägende Neuhäuser Orte, Mitmenschen und Institutionen kennenzulernen. So waren in der Vergangenheit der historische Ortskern von Schloß Neuhaus, die Feuerwehr, die Lippe-Aue, der Neubau der Bonhoeffer-Grundschule, das Stadion, das Gymnasium, der Waldfriedhof, die Caritas Wohn- und Werkstätten, die Sternwarte u.a. Ziel dieser Spaziergänge. Alle durchgeführten Quartiersspaziergänge stießen auf großes Interesse und wurden zum Gewinn für viele und führten oft für die Teilnehmenden zu neuen Erkenntnissen.
Die jüngste Begehung war besonders herausragend. Eine große Gruppe Interessierter folgte der Einladung und gewann aufschlussreiche und auch erschütternde Einblicke in die Neuhäuser Ortsgeschichte. Hans-Georg Hunstig, mit familiärem Hintergrund aus Schloß Neuhaus, befasste sich seit mehr als 40 Jahren intensiv mit der Geschichte der jüdischen Familien und berichtete spannend und detailreich vom damaligen Leben und Schaffen der jüdischen Familien, die im Ort gut angesehen und beliebt waren und eine wichtige Rolle spielten. Mit viele historische Abbildungen unterstützte er diesen Spaziergang an verschiedenen Schauplätzen.
Da war zum einen die Familie Grünewald, die im Haus in der Sertürnerstraße 8 eine Gaststätte und einen Schmierölhandel betrieb. Die Gaststätte und ihre Wirtsleute erfreuten sich großer Beliebtheit. Tochter Hilde besuchte das Michaelskloster. In der Reichsprogromnacht wurde das Haus verwüstet, die Einrichtung zertrümmert, die Fenster eingeschlagen und im Protokoll exakt festgehalten, was zerstört wurde. Julius Grünewald starb wenige Wochen vorher und musste die brutalen Übergriffe nicht miterleben. Seine Witwe, sowie die seit 1939 mit ihr im Haus lebende Schwester und ihr Mann wurden 1941 von der SA abgeholt. In den amtlichen Dokumenten heißt es: „Verzogen am 10.12.1941 nach Bielefeld zum Transport.“ Frau Grünewald wurde in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ermordet.
Eine gewichtigere Rolle spielte in Schloß Neuhaus die Familie Rosenthal. „Mit der letzten noch lebenden Tochter der Familie konnte ich 1988 in Essen sprechen, die mir vom Leben und Leiden ihrer Familie berichtete“, so Hans Georg Hunstig. Die Ursprünge der Familie gehen zurück auf den jüdischen Kaufmann Abraham Rosenthal, der 1873 die Mühle in Neuhaus erwarb. Diese wurde von seinem Sohn Louis weitergeführt. Aus seiner Ehe mit Emilie Schuster gingen sechs Kinder hervor. Louis und später auch dessen Söhne dienten bei den 8. Husaren in Neuhaus. Die Familie wohnte zunächst in der Schloßstraße 13 (das Haus steht heute noch) und erwarb später das Haus Schloßstraße 23, das konnten sich die Interessierten, auf dem Grundstück stehend (Wiesenfläche vor den Mauern der Benteler-Werke), nur auf einem Bild anschauen. 1911 starb Louis Rosenthal. Danach stieg ein Karl Schuppmann als Teilhaber in den Betrieb der Mühle ein, die den Namen „Neuhäuser Mühlenwerke, A. Rosenthal“ führte. Rosenthals, besonders Emilie waren sehr beliebt. Hunstig: „Viele rühmten ihre Mildtätigkeit, so soll sie für die Armen die Kommunionkleider und -anzüge finanziert haben.“ Sie lebte nach ihrer Enteignung noch kurze Zeit in einer kleinen Wohnung in Paderborn und im jüdischen Waisenhaus, von dort wurde sie Anfang der 40er Jahre nach Theresienstadt verschleppt, wo sie 1944 verstarb. Den gewaltsamen Tod fanden auch die Söhne Heinrich und Arnold und dessen Frau Hilde in der Gaskammer von Auschwitz.
Am Emilie-Rosenthal-Weg erinnerte Hans-Georg Hunstig an den Besuch aus Amerika, der zur Einweihung des Weges nach Paderborn gekommen waren und las aus den damaligen bewegenden Reden der Enkel zum Schicksal ihrer Großmutter Rosenthal.
Die Teilnehmenden waren sich einig über diese Art Heimatkunde, die Hans-Georg Hunstig abschloss, indem er aus der 1985 gehaltenen Rede Weizsäckers zitierte: „Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. … Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“
Rolf und Ulrike Oberliesen (
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